
Kinder unter Deck - Ein Dokumentarfilm von Bettina Henkel
Zarte Striche und Schattierungen auf einem weißen Hintergrund, ähnlich einer Zeichnung. Klarer werden die Linien, schemenhaft formieren sich Umrisse, die eine Puppe zeigen, dann ein Mädchen, umgeben von anderen, bis das Bild als abgefi lmte Fotografi e zu erkennen ist. Das Kind in der Mitte ist Helges verstorbene Mutter, und Helge ist Bettina Henkels Vater. „Kinder unter Deck“ begleitet eine emotionale Reise, die die Filmemacherin selbst gemeinsam mit ihrem Vater antritt, um Traumata aufzuarbeiten, die von der einen Generation zur nächsten unbewusst weitergegeben wurden. Die Psychologie spricht von transgenerationaler Übertragung von Traumata: die unbewusste Weitergabe von Unbewältigtem, auch über nonverbale Kanäle. Bettina Henkel hat ihre Großmutter als wortgewandte und charismatische Grande Dame in Erinnerung – sehr zum Missfallen des Vaters, der sich doch lange gegen diese Reise gesperrt hatte. „Ich spürte diffus, dass da etwas war, was ich nicht benennen konnte, aber Auswirkungen auf mich hatte“, heißt es zu Beginn. In Lettland besuchen sie den Kindheitsort der Großmutter, in Polen den des Vaters, tasten sich an jene Jahre heran, die bis heute nachwirken. Die Filmemacherin fi ndet Gemeinsamkeiten: die Großmutter war Ärztin, der Vater – heute Psychoanalytiker – ein Internist. Beide Schachspieler. Beide rätselhaft unnahbar.
Immer tiefer dringt die Filmemacherin ins Dickicht der Familienbiografi e vor, sortiert die Ablagerungen im Unterholz: Kurz vor Helges Geburt 1939 übersiedelte die deutsch-baltische Familie in das bereits annektierte Polen – die Großmutter hatte sich gegen das liberale Schweden und für den Nationalsozialismus entschieden. In ihren Suchbewegungen nimmt Henkel unterschiedliche Rollen ein: Als Kriegsenkelin spürt sie dieser Fluchtgeschichte, den damit verbundenen Traumata und der Verdrängung einer nationalsozialistischen Vergangenheit der Großmutter nach, die vor Jahrzehnten in einem diffusen Bruch zwischen dem Vater und dessen Mutter mündete. Als Tochter befragt sie den Vater, verkehrt seine Rolle des Therapeuten in die des Patienten und bohrt nach, bis es ihm unangenehm wird. Als Filmemacherin gräbt sie in Archiven, um zu kontextualisieren. Ein Dreiklang, der auf der visuellen Ebene eine Entsprechung fi ndet: in eingefl ochtenem historischem Archivmaterial, in Fotografi en aus dem Familienfundus und in körnigen Super-8-Filmausschnitten aus ihrer Kindheit. Ein Film über Erinnerungskulturen und die Erblichkeit von Wunden, die – so heißt es am Ende – die Zeit allein nicht heilen kann.
Jana Koch
Aus dem Katalog der
Diagonale – Festival des österreichischen Films, 2018
Impressum
Bettina Henkel
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